gbs-bulletin no. 2



Inhalt

  Editorial
  Mitgliederversammlung am 20.11.99
  Projektförderung durch die GBS
  Aktivitäten unserer Mitglieder
  Dokumentation bedrohter Sprachen - ein neues Programm der Volkswagen-Stiftung


Editorial

Liebe Mitglieder,

hier ist unser zweites gbs-bulletin. Auch diesmal ist es noch kein Hochglanzmagazin geworden, aber dafür haben wir inhaltlich einiges zu bieten.

Wir geben die Resultate unserer ersten Projektförderung bekannt und freuen uns, zwei Dokumentationsunternehmen zu bedrohten Sprachen und Dialekten eine finanzielle Beihilfe zukommen lassen zu können (S. 3). Ich möchte noch einmal daran erinnern, daß die Förderung von Projekten zur Dokumentation bedrohter Sprachen und Dialekte zu den primären Aufgaben unserer Vereinigung gehört und daher insbesondere auch das "Fundraising" zu unseren zentralen Aktivitäten zählt. Nach anfänglicher Euphorie fließen die Quellen wieder spärlicher, und wir werden uns auf der Mitgliederversammlung am 20.11.99 darüber Gedanken machen müssen, wie wir die Einwerbung von Spendenmitteln in Zukunft auf breiterer Ebene betreiben können.

In einer neuen Rubrik "Aktivitäten unserer Mitglieder" erzählen drei Mitglieder über ihre derzeitigen Bemühungen zur Dokumentation und/oder zum Erhalt verschiedener bedrohter Sprachen (ab S. 4). Da diese Berichte in der Zukunft fortgesetzt werden sollen, bitten wir um Beiträge für die nächsten Ausgaben.

Die Bombennachricht habe ich mir bis zum Schluß aufgespart (obwohl es inzwischen die Spatzen von den Dächern pfeifen): Die Volkswagenstiftung hat endlich grünes Licht für die Etablierung des Schwerpunktprogramms "Dokumentation bedrohter Sprachen" gegeben, und was lange währt (6 Jahre!) wird gut - nach einer einjährigen Pilotphase wird ein fünfjähriges Programm eingerichtet, das etliche Dokumentationsprojekte und ein Archivierungsprojekt umfassen soll. Einzelheiten ab S. 10.

Und wie üblich gibt es am Ende eine Liste unserer nunmehr 109 Mitglieder.

Viel Spaß bei der Lektüre und auf Wiedersehen bei unserer Mitgliederversammlung am 20.11.99 (und vergeßt die Beiträge nicht),

 

Hans-Jürgen Sasse

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Mitgliederversammlung

Die diesjährige Mitgliederversammlung findet am 20.11.99 um 14 Uhr im Hörsaal VIIa im Hauptgebäude der Universität zu Köln statt.

Tagesordnung

  1. Genehmigung der Tagesordnung
  2. Bericht des Vorstandes
  3. Bericht der Kassenprüfer
  4. Entlastung des Vorstandes
  5. Bericht zur Stipendienvergabe 1999
  6. Neue Stipendienausschreibung
  7. Neuigkeiten zur Gründung einer Zeitschrift
  8. Fundraising
  9. Aktivitäten des Vereins
  10. Verschiedenes

Wegbeschreibung

Das Hauptgebäude der Universität (Albertus-Magnus-Platz) ist vom Hauptbahnhof entweder mit der DB oder mit der Straßenbahn zu erreichen.

DB: bis Bahnhof Köln Süd, Bahnhof in Richtung Zülpicher Straße verlassen. Treppe herunter gehen, Straßenseite wechseln, dann nach links gehen. An der Ampel nach rechts, die Meister-Ekkehart-Straße überqueren; das Hauptgebäude ist dann das nächste Gebäude rechts.

Straßenbahn: Richtung Neumarkt, dort umsteigen in Linie 7 oder 9 Richtung Köln-Sülz bis Universität. Die Universitätsstraße in Aussteigerichtung (Richtung Uni) weitergehen; die Meister-Ekkehart-Straße überqueren; das Hauptgebäude ist dann das nächste Gebäude rechts.

Der Hörsaal VIIa befindet sich im Untergeschoß des Hauptgebäudes links. 

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Ausschreibung einer Projektförderung - Stipendiaten

Die GBS hatte im letzten Bulletin im Februar 1999 einen Betrag von DM 5000,- (EUR 2556,46) für die Förderung eines Projekts zur Dokumentation einer bedrohten Sprache ausgeschrieben. Bis zum Einsendeschluß am 15.04.99 gingen eine Reihe interessanter und förderungswürdiger Anträge aus dem In- und Ausland beim Vorstand der GBS ein. Auf einer Sitzung am 5. Juni 1999 wurde vom Vorstand einstimmig beschlossen, den ausgeschriebenen Betrag zu teilen.

Philomena Dol (Universität Leiden, Niederlande) erhält einen Betrag von DM 4000,- für ihr Projekt "A Record of Maybrat for the Speakers". Es soll ihr damit ermöglicht werden, eine zweimonatige Feldforschung in Irian Jaya durchzuführen. Diese soll die Ergänzung von bereits bei früheren Feldforschungsaufenthalten gesammelten Daten ermöglichen. So sollen die Bestände an gesammelten Mythen, Genealogien etc. erweitert werden. Daneben sollen Texte der noch nicht dokumentierten Dialekte des Maybrat aufgenommen werden und die Sammlung traditioneller Erzählungen ergänzen. Im Anschluß daran ist geplant, diese Materialien zum einen als wissenschaftliche Arbeit zu veröffentlichen und zum anderen das Material den Maybrat selbst zur Verfügung zu stellen. Dies soll in Form einer dreisprachigen Edition als Broschüre auf Indonesisch, Maybrat und Englisch geschehen.

Über eine Aufstockung des Stipendiums, die es ermöglichen würde, Frau Dol den Betrag von DM 5000,- in voller Höhe zukommen zu lassen, wollte der Vorstand nicht ohne die Zustimmung der Mitglieder entscheiden. Darüber soll daher bei der nächsten Mitgliederversammlung am 20. November abgestimmt werden.

Klaus Geyer (Universität Kiel) erhält DM 1000,- zur Durchführung seines Projekts "Der ostfränkische Dialekt des Dorfes Hetzles". Das Dokumentationsvorhaben umfaßt eine ca. 60-seitige Textedition, die auf 1-2 Stunden gesprochener Alltagssprache basieren soll. Die Transkription der Tonaufnahmen wird eine Segmentierung in Pauseneinheiten und eine interlineare Morphemübersetzung einschließen. Es wird eine möglichst breite Repräsentation des Dialekts angestrebt durch die Erfassung von Texten, die von Sprecherinnen und Sprechern verschiedener Generationen gesprochen werden, und durch das Sammeln von unterschiedlichen Textsorten. Eine Zusage für die Veröffentlichung durch einen Verlag ist bereits eingeholt worden.

Über die Ergebnisse ihrer Projekte werden die Stipendiatin und der Stipendiat nach Abschluss ihrer Forschungen im GBS-Bulletin berichten. Die GBS wünscht beiden viel Erfolg bei der Durchführung ihrer Arbeit! 

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Aktivitäten unserer Mitglieder

Feldforschung und Erstellung von Materialien zum Cayuga (Hans-Jürgen Sasse)

Von den knapp 20 irokesischen Sprachen, die in vorkolumbianischer Zeit in Nordamerika gesprochen wurden, überleben heute noch sechs: Mohawk, Oneida, Onondaga, Seneca, Cayuga und Tuscarora. Abgesehen von Mohawk und Oneida, die gelegentlich von Kindern durch primären Spracherwerb erlernt werden, werden diese Sprachen nur noch von älteren Menschen gesprochen. Die letzte Tuscarora-Sprecherin auf kanadischer Seite starb im Dezember 1995; im Staat New York leben vielleicht noch etwa ein Dutzend weitere Menschen, die diese Sprache beherrschen. Seneca und Cayuga werden noch von etwas mehr Leuten gesprochen, doch auch hier schrumpft die Zahl zusehends. Von den ca. 2000 Einwohnern des Six-Nations-Reservats in Ontario, die sich als Angehörige der Cayuga-Nation bezeichnen, werden nur noch 115 in der offiziellen Liste des Kulturzentrums des Reservats als Kenner der Sprache geführt. Die Zahl ist in Wirklichkeit noch niedriger, da ein nicht unbeträchtlicher Teil dieser Leute als Patienten mit schweren gerontologischen Erkrankungen (Schlaganfälle, Alzheimer usw.) in Pflegestationen und Altersheimen behandelt werden und nicht eigentlich mehr als "Sprecher" gelten können.

In den 70er Jahren hat die kanadische Regierung begonnen, Programme für die Einrichtung verschiedener Indianersprachen als Schulfächer in sogenannten "immersion schools" und zum Teil auch auf High-School-Niveau (11. und 12. Klasse) zu entwickeln. Auch der traurige Rest der Irokesen-Sprachen wurde in diese Initiative mit einbezogen. Insbesondere wurde der Cayuga-Unterricht gefördert. Das grösste Problem bestand natürlich zunächst in der Rekrutierung von Lehrern, da von den damals noch ca. 300 Sprechern nur ein einziger eine sprachdidaktische Ausbildung hatte. Darüberhinaus mangelte es an Unterrichtsmaterial sowie an grammatischen Handbüchern für die Lehrer; es gibt bisher auch keine wissenschaftliche Grammatik und kein Wörterbuch. Der Erfolg der Unterrichts ist demgemäss relativ gering. Nichtsdestoweniger wird heute an drei Grundschulen im Reservat und zwei High Schools in teilweise von Indianern bewohnten Kleinstädten in der Nachbarschaft des Reservats Cayuga gelehrt. Seit 1995 bietet auch eine Art Volkshochschule ("Grand River Polytech") regelmässig Abendkurse in Cayuga an.

Während meines ersten längeren Feldforschungsaufenthalts im Six-Nations-Reservat 1991 wurde die Bitte an mich herangetragen, meine Feldforschungsergebnisse zum Cayuga der Gemeinde in "leicht lesbarer Form" zugänglich zu machen. Ich fertigte schon während meines Aufenthalts eine 72seitige Broschüre mit dem Titel "Cayuga Verb Morphology" an, die ich kurz vor meiner Abreise der Gemeinde stolz präsentierte. Die Enttäuschung auf beiden Seiten war gross. Das Werkchen stiess bei den Adressaten auf pure Ablehnung.

Ich habe lange darüber nachgedacht, warum das wohl so war. Die Erleuchtung kam erst, als ich 1995 wieder im Reservat war und mit verschiedenen Personen darüber sprach. Es war zu "wissenschaftlich" aufgemacht, zu knapp gehalten und zu terminologieüberfrachtet, dazu noch mit einer Terminologie, zu der keiner Zugang hatte. Und was das Schlimmste war: ich hatte es mit Schreibmaschine geschrieben, mit relativ kleinen Typen, Linien für Tabellen mit der Hand gezogen, und und und... Wen wundert es? Ich war ja nicht als Lehrbuchschreiber losgezogen, sondern als Linguist, der eine typologisch interessante Sprache ganz und gar von der Warte eines sprachtheoretischen Interesses aus näher kennenlernen wollte.

Inzwischen hatte man im Kulturzentrum des Reservats (Woodland Cultural Centre) eine Serie von Macintosh-Computern angeschafft, auf denen alle eifrigst herumklimperten. Man hatte feste Vorstellungen, wie so ein Buch aussehen sollte: hübsch, grosszügig, mindestens 14 Punkt, viel Boldface, in leichtem, lockerem Stil geschrieben, mit vielen Regeln, Beispielen, alles schön in Kästen eingerahmt und mit "side bars" am Rand. Ich wusste nicht, was ein "side bar" war, aber ich setze mich erst einmal an die Maschine und probierte alle Graphikmöglichkeiten durch. Wir hatten den Text meiner 1991er Skizze inzwischen längst auf dem Computer, so dass es für mich ein Leichtes war, ein bisschen daran herumzuformatieren. Also zunächst mal von 12 auf 14 Punkt, alle Cayuga-Wörter fett, grammatische Elemente in 18 Punkt hervorgehoben, alle grammatischen Regeln in eingekastelten Tabellen mit witzigen Sprüchen drüber. Zu meiner Überraschung rief schon der erste Probeausdruck Begeisterungsstürme hervor. So entstand innerhalb kurzer Zeit die Idee, ein richtig grosses Werk zu schaffen, das alles in den Schatten stellen sollte, was bisher auf dem Markt war. Ich gewann als Koautor einen High-School-Lehrer und kompetenten Sprecher, der alle zitierten Formen und Paradigmen und die subtilen Nuancen der Verbbedeutungen einer letzten Prüfung unterzieht. Wir entwickelten eine neue Art von "field-testing"-Methode, die darin besteht, die sprachlichen Fakten in einer grammatischen Darstellung aufzubereiten und der Sprachgemeinschaft zum "Absegnen" vorzulegen. Inzwischen ist das Buch weitgehend fertig; wir hoffen es im nächsten Jahr zum Druck geben zu können.

Seit 1995 haben in Six Nations einige Entwicklungen stattgefunden, die die Landschaft nachhaltig verändert haben. In der Zwischenzeit hat das Unterrichtsministerium der Provinz Ontario ein Finanzierungsprogramm zur Abfassung von Schulgrammatiken für die drei Sprachen Mohawk, Oneida und Cayuga eingerichtet. In die Cayuga-Grammatik werden wir einige Teile unserer Verbmorphologie einarbeiten, so z.B. die Darstellung des Aspektsystems und die Konjugationstypen; wir haben von weit mehr als 1000 Verben vollständige Paradigmen gesammelt und sind in der Lage, hierauf eine so gut wie lückenlose Verbklassifikation aufzubauen. Zur Zeit ist ferner eine vierköpfige Gruppe von Sprechern, die mit Mitteln aus der genannten ministeriellen Zuwendung bezahlt wird, mit der Abfassung eines Wörterbuchs des Cayuga beschäftigt. Schliesslich ist zu erwähnen, dass in zunehmendem Masse traditionelle "Speeches" auf Tonband aufgenommen und archiviert werden. Das Woodland Cultural Centre verfügt bereits über ein beachtliches Tonarchiv, in dem alle Zeremonien in verschiedenen Versionen von mehreren Sprechern dokumentiert sind.

Das Aussterben des Cayuga werden unsere Bemühungen nicht verhindern. Die meisten der Sprecher von der offiziellen Liste werden in ein paar Jahren nicht mehr unter uns sein. Da die Sprache kaum noch im Alltag verwendet wird, besteht auch für die Schüler der "immersion schools" wenig Motivation, sie zu erlernen. Wenigstens wird aber eine umfassende Dokumentation zurückbleiben, die noch lebenden letzten Traditionalisten und ihren Nachkommen das Gefühl vermittelt, ihr Kulturgut sei nicht sang- und klanglos untergegangen und man könne es jederzeit bei Bedarf wieder aufleben lassen. Die Freude und die Dankbarkeit der Gemeinde für die hierbei geleistete Hilfestellung hat mich für manche schlaflose Nacht entschädigt, in der ich neben meinen sonstigen Verpflichtungen schier endlose Verbparadigmen habe tippen und formatieren müssen.

 

Video-Dokumentation traditionellen Wissens der Jaminjung, Ngaliwurru und Ngarinyman (Eva Schultze-Berndt)

Von Mitte Juni bis Mitte September 1999 gab mir ein Stipendium des Institute for Aboriginal and Torres Strait Islanders Studies (AIATSIS) in Canberra die Gelegenheit, an frühere Feldforschungsaufenthalte in der Gegend von Timber Creek (Northern Territory, Australien) anzuknüpfen. Seit 1993 arbeite ich dort zusammen mit den Sprecherinnen und Sprechern des Jaminjung und des eng verwandten Dialekts Ngaliwurru mit dem Ziel einer Dokumentation dieser Sprache, die heute höchstens noch von 100 meist älteren Menschen gesprochen wird.

Bei früheren Aufenthalten waren Videoaufnahmen, z.B. bei ‘bush trips’, auf besondere Resonanz bei der Sprachgemeinschaft gestossen. So gut wie alle Sprecherinnen und Sprecher und auch viele jüngere Mitglieder der Sprachgemeinschaft sind Analphabeten; Schulprogramme für das Jaminjung und Ngaliwurru gibt es bisher nicht. Unter diesen Umständen bieten Videos vielen Mitgliedern der Sprachgemeinschaft einen viel direkteren Zugang zu Materialien in diesen Sprachen als schriftliche Dokumente, zumal diverse Haushalte und auch die ‘language centres’ vor Ort einen Videorekorder besitzen.

Bei diesem Feldforschungsaufenthalt stand deshalb die Aufnahme von Texten auf Video im Vordergrund, die traditionelles Wissen, Überlieferungen und Lebensgeschichten von Sprecherinnen und Sprechern des Jaminjung und Ngaliwurru dokumentieren und für die Sprachgemeinschaft direkt zugänglich machen sollen. (Natürlich sollen die Texte auch transkribiert und annotiert werden, damit sie für die linguistische Analyse zur Verfügung stehen). Während dieses Aufenthalts kristallisierten sich zwei Schwerpunkte heraus, zum einen die Dokumentation von Ortsnamen und dem mit diesen Orten assoziierten mythologischen und/oder historischen Wissen, und zum anderen die Dokumentation traditioneller Techniken der Werkzeugherstellung (z.B. von ‘fighting sticks’). Die Aufnahmen wurden noch vor Ort - sofern die Beteiligten ihre Zustimmung gaben, was fast immer der Fall war - verschiedenen anderen Mitgliedern der Sprachgemeinschaft gezeigt. Daraus ergaben sich unter anderem weitere interessante Kommentare zu den in den Filmen behandelten Themen, sowie interessante lexikographische Informationen. Auch diesmal war die Resonanz bei der Sprachgemeinschaft durchweg positiv, und ich habe eine Menge gelernt - nicht nur über Grammatik und Wortschatz.

 

Die arabischen Dialekte der Carmel-Küste in Israel (Otto Jastrow)

Dieser Bericht ist online leider nicht verfügbar. Er findet sich auf Seite 9 der Druckausgabe des gbs-bulletins no. 2.

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